Reinzuchthefen
Reinzuchthefen sind so etwas wie die Imperiale Klonarmee des Kellermeisters. Im Extremfall basiert das Erbgut der gesamten Hefepopulation eines Gärtanks nämlich auf nur einer einzigen Zelle. Die wurde zuvor im Labor selektioniert und immer wieder vermehrt.
Der Einsatz von Reinzuchthefen ist eine Auf-Nummer-sicher-Strategie des Kellermeisters. Denn bei der —>Spontangärung mit Naturhefen besteht immer auch das Risiko, dass ungewünschte Hefestämme die Oberhand gewinnen und unschöne Aromen den Wein dominieren. Schlimmstenfalls so stark, dass der Wein unverkäuflich wird. Durch den Zusatz von Starterkulturen auf Basis von Reinzuchthefen kann das mit recht hoher Sicherheit vermieden werden. Es ist so, als gäbe man bei einem Marathonlauf einigen Läufern aus dem Feld der Starter einfach drei bis vier Kilometer Vorsprung: Das Rennen ist so von Anfang an gelaufen.
Erkauft wird diese Sicherheit aber um den Preis einer deutlich reduzierten Komplexität des fertigen Weines. Logisch: Denn knapp die Hälfte des Geschmacks entsteht erst im Laufe der Gärung. Wenn diese Geschmacksstoffe nur von einigen wenigen Hefestämmen (oder eben nur einem einzigen!) gebildet werden, ist die aromatische Vielfalt zwangsläufig reduziert. Ein wenig ist’s, als würde man im Urlaub unbedingt schwimmen gehen wollen, führe aber nicht ans Mittelmeer, sondern ins Freibad um die Ecke. Das kann zwar auch sehr schön sein – aber unvergesslich geht halt anders.
Was nicht heißt, dass mit Reinzuchthefen vergorene Weine weniger intensiv schmecken – oft ist sogar das Gegenteil der Fall. Dann sind oft sogenannte Aromahefen im Spiel. Die sind auf die Produktion einer bestimmten Aromatik hin selektioniert und liefern prompt entsprechend amtlich ab. Jede Menge Aprikose beispielsweise. Oder Stachelbeere. Oder Cassis. Doch egal, welches Aroma sie auch produzieren: übertreibt der Kellermeister es mit ihnen, wirkt die Frucht in ihrer Konzentration im Wein seltsam isoliert und künstlich. Es entstehen Weine, ähnlich grotesk und unnatürlich wie die mit Hormon-Unterstützung aufgeblasenen Oberkörper mancher Body-Builder.
Klar, es gibt auch gute Gründe für spezialisierte Reinzuchthefen: Bei der Produktion von —>Schaumwein, zum Beispiel. Für die zweite Gärung dort ist aber kein zusätzliches Fruchtaroma gefragt. Im Gegenteil, Champagnerhefe vergärt aromatisch weitgehend neutral. Dafür hat sie aber eine andere Superheldenkraft: Nämlich auch bei hohem Kohlendioxid-Druck immer noch tapfer weiter zu vergären. So lange, bis so gut wie kein Zucker mehr vorhanden ist.
Egal übrigens, wie skeptisch man Reinzuchthefen auch gegenübersteht: Mit Gentechnik haben sie rein gar nichts zu tun. Reinzuchthefen basieren nämlich ganz klassisch und gentechnikfrei ausschließlich auf den uralten Zuchtprinzipien von Selektion und Vermehrung. In der EU jedenfalls, wo der Einsatz gentechnisch veränderter Hefen verboten ist. Im Gegensatz zu den USA, wo solche Hefen inzwischen legal eingesetzt werden.