Terroir
Mit dem Terroir ist’s ein wenig wie bei Menschen mit dem Charisma. Was im Prinzip damit gemeint ist, weiß jeder (oder glaubt es zumindest). Eine genaue Definition, was zum Teufel das denn im Einzelfall bedeutet – äh, tja also… Vermutlich gibt es keinen Begriff in der Weinwelt, der bei soviel Unschärfe von einer so starken, zuweilen fast mythisch überhöhten Aura umgeben ist.
Um zu verstehen, was er bedeutet, muss man vor allem eines wissen: In Frankreich ist die Vorstellung über die Qualität und Beschaffenheit eines Lebens- oder Genussmittels nahezu immer eng an dessen Herkunft geknüpft. Der Comté ist untrennbar verbunden mit der Region Franche-Comté, das Bresse-Huhn mit der Landschaft im Osten Frankreichs. Selbst die Gourmet-Variante der Chili-Schote ist in Frankreich präzis verortet, nämlich im Örtchen Espelette im französischen Teil des Baskenlandes herum. Klar, man könnte das Zeugs auch sicher woanders pflanzen – aber dann wär’s halt nicht mehr authentisch. Und für diese Idee der Bindung an den Ursprungsort gibt es im Französischen ein Wort: das lautet eben Terroir. Und das haben die Zisterzienser-Mönche burgundischer Klöster schon im Mittelalter mit Käse in Zusammenhang gebracht und als goût de terroir bezeichnet. Seit rund einhundert Jahren wird der Begriff in Frankreich aber auch im Wein-Kontext verwendet. So erfolgreich, dass seine ihm zugrunde liegende Philosophie die Grundlage des modernen AOC-Systems in Frankreich wurde. Roy de Boiseaumarié beschrieb schon in den 1920 Jahren die idealen Rebsorten für einen Châteauneuf-du-Pape, 1935 wurde die Region dann zur ersten Qualitätswein-Appellation in Frankreich. Ihre Vollendung findet die Idee vom Terroir dann schließlich im —> Burgund. So differenziert und fein aufgelöst wie bei den Premier und Grand Crus dort ist der Terroirgedanke sonst nirgends.
Während der Begriff in Frankreich fest im Verständnis der Menschen verankert ist, bleibt das Verständnis von Terroir im deutschen Sprachraum oft so vage und verschwommen wie der Blick auf den Tower in Londoner Nebel. Was man schon allein daran gut erkennt, dass es keine direkte Übersetzung gibt. Ähnlich, wie beim Kindergarten und Zeitgeist im Englischen hat sich deshalb das Wort selbst in der fremden Sprache etabliert, wird dort aber zunehmend durch die Umschreibung sense of place ergänzt oder ersetzt.
Das, was der französischen Vorstellung hierzulande vermutlich am nächsten kommt, ist das deutsche Verständnis der Lage. Aber die ist deutlich enger und nüchterner gefasst. Der deutsche Begriff ist technisch und streng geographisch definiert. Die kulturelle Komponente, wie sie heute im französischen Verständnis von Terroir selbstverständlich ist, spielt keine Rolle. Auch Geologie und Bodenstruktur sind nicht wirklich entscheidend. Im französischen Verständnis geben die physischen Standortfaktoren Bodenstruktur, Klima und Topographie dsgegen ein Resultat, das größer ist, als die bloße Summe der einzelnen Teile: nämlich eine auf einem Ort (oder einer Region) beruhenden Identität, die auch Vergangenheit und Gegenwart des Tuns der dort lebenden Menschen mit einschließt.